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12 Kunst-Filme, die sich im Mai lohnen

Ein neuer Film über Frida Kahlo, Aufstieg und Fall eines Modegiganten und verhärtete Fronten im Kulturbetrieb: Das sind unsere Streaming-Tipps des Monats


Kochen ist Kunst

Der Begriff "Relational Arts" klang zwischenzeitlich ein bisschen eingestaubt. Die Idee, Kunsträume in Erfahrungsräume für alle umzuwandeln, ist bei Museen aber gerade wieder äußerst angesagt. Dazu passt die Arbeit des Künstlers Rirkrit Tiravanija, der in den 1990er-Jahren dafür bekannt wurde, öffentliche Kochperformances zu veranstalten und die Reste des Gelages als Installationen stehen zu lassen. 

Nach seiner Einzelausstellung im New Yorker MoMa PS1 wird er im September das Programm von Jenny Schlenzka im Berliner Gropius Bau eröffnen, schon zum Gallery Weekend sind Arbeiten bei Neugerriemschneider zu sehen. Die Galerie hat dazu auch einen Videoessay veröffentlicht, in dem die Kuratorin Pauline J. Yao in das Werk Tiranavijas einführt. Im wahrsten Sinne ein Appetithäppchen und eine gute Vorbereitung für das, was in diesem Kunstjahr noch kommen wird. 

"In Process: Rirkrit Tiravanija at Neugerriemschneider | Video Essay with Pauline J. Yao", Neugerriemschneider online

Rirkrit Tiravanija "Mai mee chue 2004 (pad thai)", 1990/2004. Installationsansicht "Nothing: A Retrospective", Chiang Mai University Art Museum, 2004
Foto: Courtesy Berliner Festspiele

Rirkrit Tiravanija "Mai mee chue 2004 (pad thai)", 1990/2004. Installationsansicht "Nothing: A Retrospective", Chiang Mai University Art Museum, 2004


Hingabe und Verderben mit Heinrich Vogeler

Er war die ultimative Verkörperung eines spätromantischen Schwärmers. Gleichgesinnte, die nach der Natur malten, um das einfache Leben zu finden, fand er in Worpswede - wobei "einfach" für ihn hieß, das dank einer Erbschaft erworbene Bauernhaus in ein märchenhaftes Gesamtkunstwerk zu verwandeln. Dass sich nicht alle diesen Luxus leisten konnten, fiel dem betuchten Kaufmannssohn erst allmählich auf, sein dekorativer Stil, den das Bürgertum liebte, widerte ihn irgendwann an, und noch vor dem Ersten Weltkrieg schenkte er das "Schmuckstück" den Arbeitern und Bauern.

Dass sich Heinrich Vogeler freiwillig zum Dienst an der Waffe meldete, endete nicht mit der Zerstörung der verhassten alten Verhältnisse, sondern einem von ihm fotografisch und zeichnerisch festgehaltenem Zerfall aller Hoffnungen auf einen "Neuen Menschen". Vogeler landete in der Psychiatrie, rappelte sich nur mühsam auf und mutierte zum linken Aktivisten. Die neue Utopie hieß jetzt: Eine gerechte Gesellschaft jenseits der eigenen Selbstdarstellung aufbauen. Der KPD war das nicht linientreu genug. Die sowjetischen Kulturfunktionäre störte die Vergangenheit des immer noch unter der Oberfläche allzu individualistischen Revolutionärs nicht. Sie bedienten sich des deutschen Kommunisten für ihre Propagandakunst.

Stalins Säuberungen konnte er noch entkommen. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht wurde Vogeler aber nach Kasachstan deportiert, wo er in einer Kolchose schuftete und 1942 mit 70 Jahren an Unterernährung und Erschöpfung starb. Eine solch an historischen Einschnitten überreiche Lebensgeschichte, schreit geradezu nach einer emotionsgeladenen Verfilmung.

Regisseurin Marie Noëlle zieht es jedoch vor, den dramatischen Stoff in malerische Naturszenen, Spielfilm-Elemente, Archiv-Fotos, an der Grenze zur Karikatur gezeichnete Figuren und dokumentarische Teile zu gliedern, in denen Schriftsteller Klaus Modick, Vogelers Sohn Jan, seine Urenkelin Daniela Platz, eine Schweizer Psychoanalytikerin oder Künstler Norbert Bisky darüber reflektieren dürfen, was Kunst darf und wie äußere Umstände das Werk mitunter beeinflussen können.

Was uns diese Geisterbeschwörung über Vogelers Wandlungsfähigkeit mitteilen soll, bleibt ein wenig schleierhaft. Trotzdem bleibt dieses Künstlerleben in seiner Widersprüchlichkeit überwältigend. Da ist man schon fast erleichtert, wenn die Kamera "einfach" mal über die Gemälde streift, nach Sichtachsen sucht und die eine oder andere Collage simuliert.

"Heinrich Vogeler - Aus dem Leben eines Träumers", Video on Demand, zum Leihen oder kaufen

Schauspielerin Anna Maria Mühe und Florian Lukas. Sie porträtieren das Ehepaar Martha und Heinrich Vogeler
Foto: Benjamin Eichler

Anna Maria Mühe und Florian Lukas in "Heinrich Vogeler - Maler, Genosse, Märtyrer"


Wem gehört meine Haut?

Kunst ist ein Phänomen voller Macht, genau wie die ganze Gesellschaft. Und manche Künstler spielen mit diesen Abhängigkeiten, die sie vorfinden, um unser Verständnis von Moral und Angemessenheit herauszufordern. Ein prominentes Beispiel ist Santiago Sierra, der drogenabhängigen Sexarbeitern und illegalen Einwanderern Geld dafür bezahlte, ihnen eine Linie auf den Rücken tätowieren zu dürfen. Wie viel Geld ist nötig, um den Eingriff in die Haut eines anderen Menschen zu kompensieren? Und ist es eine freie Entscheidung, in einen solchen Deal einzuwilligen, wenn man in einer prekären Situation ist und unbedingt das Geld braucht? 

Um einen ähnlichen Konflikt, der lose auf einem Werk des Belgiers Wim Delvoye basiert, geht es auch in dem Spielfilm "Der Mann, der seine Haut verkaufte", der 2022 auch in den deutschen Kinos lief. Die Hauptfigur ist der Syrer Sam Ali, der sich ein Leben in Europa dadurch erkauft, dass er einem berühmten Aktionskünstler seinen Rücken als Leinwand überlässt. In der Folge clasht sein bisheriges Leben mit einer hedonistischen Kunstwelt, die ihn wesentlich als Spektakel und ihr Eigentum betrachtet. Einen Weg in die Freiheit hat Sam offenbar nicht gefunden. 

Für den Film von Kaouther Ben Hania bekam Tunesien die erste Oscarnominierung in der Geschichte des Landes. Wie so oft wird die Kunstwelt ein wenig schrill und klischeehaft präsentiert. Trotzdem ist "Der Mann, der seine Haut verkaufte" ein eindringliches Werk, das grundsätzliche Fragen über das uralte Verhältnis von Künstler und Modell stellt. 

"Der Mann, der seine Haut verkaufte", Yorck Kino on demand

"Der Mann, der seine Haut verkaufte", Filmstill, 2022
Foto: Kwassa Films

"Der Mann, der seine Haut verkaufte", Filmstill, 2022

 

Frida Kahlos Tagebücher

Frida Kahlo ist Kult. Aus kaum einer Künstlerin hat die Merch-Industrie mehr Profit geschlagen als aus der mexikansichen Ikone. Ihr Gesicht ziert T-Shirts und Tassen, es gibt Augenbrauenstifte, Schlafmasken und Barbies. Und natürlich etliche Ausstellungen, Filme und Bücher, die sich ihrem Werk und ihrer Lebensgeschichte widmen.

Dass Kahlo nun endlich selbst zu Wort kommt, ist der mexikanischen Filmeditorin Carla Gutiérrez zu verdanken: Ihr Filmdebüt als Regisseurin mit dem Titel "Frida" erzählt die Lebensgeschichte der Künstlerin erstmalig anhand ihrer eigenen Worte, vorgelesen im spanischen Original von der mexikanischen Schauspielerin Fernanda Echevarría del Rivero. In zweijähriger Forschungsarbeit haben Gutiérrez und ihr lateinamerikanisches Team schriftliche Aufzeichnungen Kahlos – Tagebücher, Briefe, Essays und Interviews – ausgewertet, viele davon gelangen durch die filmische Arbeit nun erstmals an die Öffentlichkeit.

Trotzdem hangelt sich der Dokumentarfilm größtenteils an den prominentesten und bereits vielfach durcherzählten Stationen ihres Lebens entlang: dem Busunfall im Alter von 18 Jahren, bei dem sich eine Stahlstange durch ihr Becken bohrt ("Es war nicht gewalttätig, es war still. Es ist eine Lüge, dass man weint. Ich hatte keine Träne"), der Einsamkeit, die sie danach begleitet und in der sie mit der Malerei beginnt ("Ich fühle mich durch die Wände in meinem Zimmer gefangen. Ich bin allein mit meiner Seele"), der turbulenten Ehe mit Diego Riviera ("Alle sagten, es sei, als würde man einen Elefanten mit einer Taube verheiraten"), ihrer Fehlgeburt ("Es passierte innerhalb eines Wimpernschlags").

Dann die Trennung von Riviera, ein Befreiungschlag: "Ich habe meine besten Jahre damit verschwendet, von einem Mann abhängig zu sein, ohne etwas für mich selbst zu tun. Ich muss malen, damit ich meinen Lebensunterhalt verdienen kann. Dann werde ich frei sein. Ich akzeptiere keinen einzigen Cent mehr von Diego. Ich werde niemals Geld von einem Mann annehmen, bis ich sterbe."

Gutiérrez kombiniert in "Frida" alte Fotografien und Videoaufnahmen mit liebevoll animierten Werken der Künstlerin, die Kahlos Hingabe zur Kunst verdeutlichen. Und sie erschafft – trotz der wenigen neuen Erkenntnisse, die der Film über die Künstlerin zu bieten hat, ein erfrischendes Porträt, das Kahlo selbst wahrscheinlich um einiges besser gefallen hätte als eine viel zu dünne, verzerrte Spielzeugversion ihrer selbst vom Spielzeughersteller Mattel.

"Frida", bei Amazon Prime

Frida Kahlo
Manuel Álvarez Bravo / Lola Álvarez Bravo, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Frida Kahlo, um 1944


Mit Catherine Opie in der weißen Weite

Eigentlich ist die Fotografin Catherine Opie für einfühlsame Porträts aus der queeren Szene von Los Angeles bekannt. Inzwischen hat es ihr aber auch die Landschaftsfotografie angetan, besonders in Norwegen. Seit elf Jahren besucht sie das Land regelmäßig, die Berge, das Nordlicht haben es ihr angetan, vielleicht, spielt sie schmunzelnd auf Picasso an, beginne jetzt ihre blaue Periode. 

Wer Opie auf einem Streifzug durch die nordische Weite begleiten will, kann das nun auf dem Videokanal des dänischen Louisiana-Museums tun. Bei einem Fotoausflug im Januar ließ sich die Künstlerin von einem Kameramann begleiten und zu ihrer Leidenschaft für die Landschaft befragen. Während des geduldigen Wartens auf den perfekten dunklen Blauton des Himmels erzählt Opie von ihrer Arbeit und der Suche nach Neuem. Der Ausflug in die Einsamkeit entspannt schon beim Zusehen.

"Catherine Opie: Beginnings and Endings", Louisiana Channel

Künstlerin Catherine Opie
Foto: Dustin Aksland

Künstlerin Catherine Opie


Das Genie, das sich selbst zerstörte

John Galliano gilt als der talentierteste Modedesigner seiner Generation. Er wird gefeiert wie kein anderer, bis er die Kontrolle über sich verliert, Menschen antisemitisch beleidigt und zur persona non grata der Modewelt wird. Vor Kurzem machte er nun aber Schlagzeilen mit einer atemberaubenden Kollektion, die er für das Maison Martin Margiela entwarf. Er ist also zurück. Wie geht man mit einem Genie um, das sich selbst zerstört? Wie verzeiht man etwas, das als unverzeihlich gilt? Und wie weit können äußere Umstände als Entschuldigung gelten? 

Der 2023 veröffentlichte Film "High & Low - John Galliano" von Oscar Macdonald versucht, diesen Fragen auf den Grund zu gehen. Galliano, Kind spanischer Einwanderer, wird in London groß. Durch seine Homosexualität, die ihm früh bewusst war, sieht er sich regelmäßig der Gewalt und Aggression seines Vaters ausgesetzt – die Kirche, die Schule, sie alle verbieten ihm, er selbst zu sein. Die Mode wird zu seiner Ausflucht, seine Abschlusskollektion an der Saint-Martins-Schule legendär. 

Ohne jegliche finanzielle Mittel arbeitet sich Galliano so weit nach oben, dass Anna Wintour und Andre Leon Talley persönlich dafür sorgen, dass er weitere Kollektionen entwerfen kann. Seine Shows sind dramatisch, fantastisch, die Models werden durch seine Kleider zu Schauspielerinnen, zu wahren Charakteren. Doch die Mode, so überwältigend wunderbar sie sein kann, so fordernd und unersättlich ist sie gleichzeitig. 

Als Artistic Director von Dior und gleichzeitig sein eigener Label-Chef ertränkt Galliano Stress und Sorgen in Alkohol, bis zu einem Punkt, an dem ihn alle guten Geister verlassen und er eine Art sozialen Suizid begeht. Kündigungen, Entzug, das Ende. Oder doch nicht? Durch seine guten und loyalen Beziehungen zu ranghohen Modetieren gelingt es ihm, zurückzukehren. Aber hat er wirklich alles getan, um seine Fehler zu verstehen und wieder gut zu machen? Oder, wie es Modekritikerin Robin Givhan in der Dokumentation sagt, ist er eben vor allem ein weißer Mann? Machen Sie sich selbst ein Bild mit dem extrem sehenswerten, emotionalen und vielschichtigen Porträt, das die Höhen und Tiefen eines gebrochenen, aber wieder zusammengenähten Modeschöpfers zeigt. 

"High & Low - John Galliano", bei Mubi



Die fantastischen Welten der Leonora Carrington

Ein Schelm, wer bei Surrealismus nur an Männer denkt! In den letzten Jahren gewinnen immer mehr Künstlerinnen abseits des "Herrenclubs" um Dalí, Breton und Tanguy an Bekanntheit. Arte widmet einer von ihnen, Leonora Carrington, einen knapp einstündigen Dokumentarfilm. Eindrücklich schildert dieser, wie in der Welt der Malerin und Autorin Reales und Fantastisches verschwimmen, ihre Wahrnehmung der Wirklichkeit in den magischen Bildern zutage tritt. 

Aufgewachsen im England der 1920er-Jahre als Tochter eines zu Geld gekommenen Textilfabrikanten, rebelliert die junge Frau gegen die starren Konventionen ihres Umfelds, widersetzt sich dem Vater, wird zeitweise von ihm in ein Sanatorium zwangseingeliefert, um den aufrührerischen Charakter zu brechen. Die strenge Erziehung, das gespaltene Verhältnis zur Familie und der tiefe Vertrauensmissbrauch stehen im Zentrum vieler ihrer Gemälde. Um den Schmerz zu lindern, motiviert ihre Mutter die junge Leonora zum Malen. Ihr ist es wohl auch zu verdanken, dass Traum und Realität für Leonora Carrington nie getrennten Welten waren. Der Bezug zum Fantastischen erklärt auch den künstlerischen Erfolg in ihrer späteren Wahlheimat Mexiko, wo sich der magische Realismus mit Einflüssen des indigenen Kulturerbes als lateinamerikanisches Äquivalent zum europäischen Surrealismus entwickelte.

Die Kunst bot Carrington nicht nur Zuflucht – durch sie lernte sie auch den 26 Jahre älteren Max Ernst kennen. Das Paar ging nach Paris, verkehrte mit den großen Kreativen ihrer Zeit und zog dann in einen kleinen Ort in Süd-Frankreich. Doch die politischen Ereignisse der 1930er-Jahre führten zu schweren Schlägen: Die Verfolgung und Internierung Ernsts durch die Nationalsozialisten und Carringtons anschließender psychischer Zusammenbruch waren das letzte Ereignis, das das Band zur europäischen Heimat kappte und sie zur Emigration motivierte. Ernst floh schließlich mit der Hilfe Peggy Guggenheims in die USA, Carrington heiratete den mexikanischen Autor Renato Leduc und gelangte so in Mittelamerika ins Exil.

In dem Arte-Porträt werden biografische Anekdoten, erzählt von ihren Söhnen und Personen aus dem engen Kreis der Künstlerin, von animierten Detailaufnahmen ihrer Werke, Archivaufnahmen und Einblendungen aus ihrem Atelier begleitet. Auch wenn der Film keine weltbewegenden Erkenntnisse über die Malerin hervorbringt oder ihre Kunst in ein völlig neues Licht rückt, ist er doch eine liebevolle Annäherung an diese komplexe Person, deren traumatische Erfahrungen sich durch die Bilder nur erahnen lassen. Er hilft, das Wissen um ihr bewegendes Werk in die Welt zu tragen.

"Leonora Carrington – Fantastische Surrealistin", Arte-Mediathek, bis 7. Juni

"Leonora Carrington – Fantastische Surrealistin", Filmstill
Foto: Courtesy Arte

"Leonora Carrington – Fantastische Surrealistin", Filmstill


Wir müssen reden

Veranstaltungen werden von Demonstranten gesprengt, Ausstellungen abgesagt und politische Klauseln diskutiert: Nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober und Israels militärischem Gegenschlag im Gazastreifen ist die deutsche Kulturszene in Aufruhr. In Deutschland wird mit besonderer Schärfe darüber diskutiert, wo legitime Kritik an Israels Vorgehen endet und Antisemitismus beginnt. Auch die Boykottbewegung BDS, die vom Bundestag per se als antisemitisch eingestuft wurde, stellt die Kulturszene immer wieder vor Probleme. Dabei reagierte die Politik oft autoritär: Ausstellungen wurden abgesagt, Fördergelder in Frage gestellt oder ganz gestrichen. 

Der Dokumentarfilm "Verhärtete Fronten" bei 3-Sat widmet sich der verworrenen Situation aus der Sicht von zwei Personen, die diskutieren statt boykottieren wollen: dem Bildungsstättenleiter Meron Mendel und der Politologin Saba-Nur Cheema. Das jüdisch-muslimische Paar versucht, Menschen zum Reden zu bringen, die sich im Moment vor allem als Gegner begreifen. Der Film begleitet seine Protagonisten auf ihrer Vortragsreise ins Epizentrum der Debatten - zum Beispiel an die FU Berlin, wo propalästinensische Proteste teilweise in Antisemitismus umschlugen, es gleichzeitig aber auch rassistische Vorfälle gab.

Thematisiert werden im Film außerdem die Absage einer Ausstellung der südarfrikanischen Künstlerin Candice Breitz im Saarland, die Dankesreden bei der diesjährigen Berlinale und das Ende der staatlichen Mittel für das Berliner Kulturzentrum Oyoun. Auch der Berliner Kultursenator Joe Chialo kommt zu Wort, der zwischenzeitlich eine Antidiskriminierungsklausel für Förderanträge in der Kunst implementieren wollte - und den Plan nach Protesten und juristischen Bedenken vorerst aufgeben musste. 

Der Film will viel: Einerseits die Arbeit von Meron Mendel und Saba-Nur Cheema würdigen, die im aufgeheizten Debattenklima empathisch und besonnen agieren. Andererseits aber auch der politischen Sprengkraft auf den Grund gehen, den das Thema Nahost-Konflikt in Deutschland hat. Dadurch, dass die Ausführungen von Mendel und Cheema wie ein Kommentar zu den geschilderten Fällen geschnitten sind, wirkt es, als hätten sie das letzte Wort in den Angelegenheiten. Dabei wollen sie ja eigentlich das Gegenteil: die festgefahrenen Positionen in Frage stellen.

"Verhärtete Fronten", 3-Sat-Mediathek, bis April 2025

Saba-Nur Cheema und Meron Mendel
Foto: dpa

Saba-Nur Cheema und Meron Mendel


Ein Künstler auf Sinnsuche

Die Brüder Joel und Ethan Coen sind für ihre skurrilen Filme mit tiefschwarzem Humor bekannt, in denen es oft nicht gerade zimperlich zugeht. Dass sie auch leisere Töne beherrschen, zeigt das Musik-Drama "Inside Llewyn Davis" von 2013, das gerade in der ARD-Mediathek zu sehen ist. Im Mittelpunkt steht ein mäßig erfolgreicher Folk-Sänger (gespielt von Oscar Isaac), der Anfang der 1960er-Jahren mit seiner Gitarre und einer Katze durch die USA tingelt. Auf der Suche nach Gigs, Geld und Anerkennung erlebt er immer wieder Rückschläge, aber auch Momente der Gemeinschaft und Geborgenheit in einer Szene aus Musikern, die alle ums Überleben kämpfen (und nicht alle den Kampf gewinnen).

Auch hier schonen die Regisseure ihre Hauptfigur nicht: In einer Mischung aus Pech, Naivität und Verantwortungsverweigerung stolpert Llewyn Davis von einer absurden Situation in die andere. Trotzdem ist der Film auch empathisch, lustig und anrührend und nimmt den Lebenstraum des Musikers ernst. Auch der Soundtrack mit Klassikern aus dem All-American-Songbook gehört zum Reiz des Films. Die Schaupielerinnen und Schauspieler haben alle Stücke selbst eingespielt. 

"Inside Llewyn Davis", ARD-Mediathek, bis 4. Mai

Oscar Isaac als Folk-Sänger Llewyn Davis
Foto: Courtesy ARD

Oscar Isaac als Folk-Sänger Llewyn Davis


Glamour und Krieg mit Tamara de Lempicka

Tamara de Lempicka, eine in Polen geborene Malerin, floh mit ihrem ersten Ehemann nach Paris, nachdem die Russische Revolution 1917 ihr komfortables Leben in Sankt Petersburg zerstört hatte. Ihre frühesten Werke signierte sie mit "Lempicki", der männlichen Form ihres Namens, um ihr Geschlecht zu verbergen. Und blieb bis zuletzt eine Expertin darin, ihr öffentliches Image zu kontrollieren.

In der Dokumentation "Tamara de Lempicka – Die Königin des Art Déco" kommen Kunsthistorikerinnen und eine Großenkelin zu Wort, doch der Autorin und Regisseurin Sylvie Kürsten gefiel auch die Idee, Lempicka selbst auftreten zu lassen – rauchend und hollywoodesk blondiert dargestellt von Nicole Heesters. Das ist erst ein bisschen platt und störend – vor allem wenn sie die Äußerungen der Nachwelt über sie kommentiert. Doch je näher man der mondänen Kunstfigur und damit auch der Schauspielerin Heesters kommt, desto verzeihlicher wird der Diven-Glamour in Smoking und Kimono.

De Lempicka liebte es, ihre Geschichte zu verklären, und sie feilte an ihrem kalkulierten Image als geheimnisvolle, furchtlose Dame der Gesellschaft. Den unbeteiligten, kühlen Blick mit halb geschlossenen Lidern, den sie all ihren Modellen auf ihren Porträts gab, beherrschte sie selbst am allerbesten. Irgendwann war ihre öffentliche Figur so groß geworden, dass es galt, die Künstlerin wieder hervorzuheben. „Sie hat dem Künstlerbild widersprochen, und das hat ihr geschadet“, sagt der große Lempicka-Bewunderer und Sammler Wolfgang Joop. Er ist die heimliche Entdeckung dieser Doku, denn seine Bewunderung für die Person und für die formalen Qualitäten ihrer Malerei ist so mitreißend wie hellsichtig und präzise. Dass eine Malerin ein richtig gutes, selbstbestimmtes Leben führen konnte und Diamantarmbänder bis zum Ellenbogen zur Schau trug, habe die Gesellschaft ihr übel genommen, konstatiert Joop. De Lempicka selbst war dagegen unbeirrbar, zielstrebig und perfektionistisch.

Sie war die Porträtistin der High Society, und sie hätte es geliebt, Gabriele d‘ Annunzio zu porträtieren. Sie hatten eine kurze Liaison, die sie publikumsträchtig ausweidete. Sie stilisierte sich selbst als die goldene Frau, die zu ihm "Nein" gesagt habe.

Man nannte sie später vieles, unter anderem die "Göttin des Automobilzeitalters" – vor allem wegen ihres Selbstporträts "Tamara im grünen Bugatti" von 1929, das ihr ikonischstes Werk ist. 1934 hat dieses Bild ihr das Leben gerettet: Sie besucht Berlin, ohne Aufenthaltsgenehmigung. Zum Glück kennt der Polizist, dem sie vorgeführt wird, "Die Dame", jene Zeitschrift, für die de Lempicka die Titelbilder malte. Mit einem Bußgeld und dem Versprechen, nie wieder nach Deutschland zu kommen, wird sie entlassen.

Die Kriege fraßen sich in ihr Leben, sagte sie – das einzige, wovor sie Angst habe. Sie emigriert nach Hollywood, wo sie sich als Diva inszeniert, mit Partys und inszenierten Fotografien. Die Presse über "The Baronesse with the brush" ist nur noch von einem professionellen Büro zu bewältigen. Nach zwei Jahren zieht sie 1942 nach New York um, was ihre Bilder härter macht und ihre Weltläufigkeit perfektioniert.

Expertenmeinung: Sie war sich als Künstlerin selbst im Weg mit ihrer Celebrity-Selbstinszenierung. Andererseits war sie eine Art Kardashian ihrer Zeit. Auch das Wort "Influencerin" fällt unvermeidlich. Der junge Komponist Matt Gould, Hornbrille, lange rötliche Locken, Bart, offenes buntes Hemd, hat ihr ein Musical gewidmet, das gerade am Broadway läuft. Es bleiben die zehn Schaffensjahre in Paris, auf denen ihr Ruhm gründet. Die Jahre danach werden härter, der Erfolg bleibt aus. Das Metropolitan wollte keine Bilder von ihr kaufen, in den 1940er- und 1950er-Jahren war ihre Ästhetik nicht mehr angesagt. Mit dem Abstrakten Expressionismus kann sie nichts anfangen. Sie stellt nicht mehr aus. „Sie hat sich dann ins Abstrakte hineingefuchtelt,“ befindet Wolfgang Joop. Im Vergleich zu ihren figürlichen Gemälden aber ist diese Malerei "so was von harmlos! Ohne Edge." Joop selbst sagt, dass er ohne ihre starken Frauenfiguren selbst nicht zu seinem charakteristischen Strich und seiner eigenen Idee gefunden hätte.

In den 1970ern hat sie noch einmal eine erfolgreiche Ausstellung in Paris, da lebt sie längst in Mexiko, wo sie 1980 auch stirbt. Ein treuer Gefährte hat den Auftrag, ihre Asche dem Popocatépetl zu übergeben. Er versenkt vom Hubschrauber aus die Urne im Vulkan. Tamara de Lempicka galt als dekorativ, als gefällig, als Kunst für Menschen, die nichts von Kunst verstehen. Diese Doku zeigt aber einmal mehr, dass sich ein zweiter Blick aus der historischen Distanz immer lohnt. Sie zeigt auch eine Frau, die ihr Leben immer selbst steuerte, ihre Zukunft im Blick und die Hand am Lenkrad hatte.

"Tamara de Lempicka – Die Königin des Art Déco", 3-Sat-Mediathek, bis 6. Juli

"Tamara de Lempicka – Die Königin des Art Déco", Filmstill
Foto: Courtesy 3-Sat

"Tamara de Lempicka – Die Königin des Art Déco", Filmstill


Die Künstlerin und der Dieb

In dem grandiosen Dokumentarfilm "The Painter and the Thief" von Benjamin Ree geht es um eine besondere Freundschaft zwischen einer Künstlerin und dem Mann, der zwei ihrer Bilder aus einer Osloer Galerie gestohlen hat. Beide Figuren sind ungefähr Mitte 30 und wohnhaft in Norwegen. "Herumsitzen kann ich", sagt Bertil Nordland, der Junkie, der Barbora Kysilkova beklaut hat, in ihrer Schuld steht und daher einwilligt, sich von ihr zeichnen und malen zu lassen. Barbora hat ihn vor Gericht angesprochen. Die Malerin fotorealistischer Gemälde wollte den Dieb kennenlernen, der sich an den Raub und Verbleib des Kunstwerks nicht erinnern kann, wie er angibt. Heroin plus Amphetamine, Filmriss.

Der Film ist ein fein gemachtes Doppelporträt und räumt mit dem hartnäckigen Gerücht auf, Dokumentationen würden die (ganze) Wahrheit über ihren Sachverhalt erzählen. Immer wieder dreht Ree die Zeit zurück und erzählt die Geschichte aus einem neuen Blickwinkel. Nichts ist eindeutig in dieser komplexen Geschichte über Kunst, Vergebung und Neuanfänge.

"The Painter and the Thief", Youtube on demand

Dokumentarfilm von Benjamin Ree "The Painter and the Thief", 2020
Foto: Courtesy Medieoperatørene

Dokumentarfilm von Benjamin Ree "The Painter and the Thief", 2020


Sexismus im Kino

Hinter dem Glamour verbirgt sich das Elend. Mehr als 170 Szenen aus der Kino-Geschichte zeigt Nina Menkes in ihrem Dokumentarfilm "Brainwashed: Sex-Camera-Power". Es steckt viel Sexismus im überwiegenden Teil dieser Clips, selbst wenn auf der Storyebene das Gegenteil behauptet wird. Menkes rückt der Historie der Bilder mit Filmanalyse zu Leibe. Sie weist nach, dass nicht nur in Klassikern von Alfred Hitchcock oder Orson Welles, sondern bis in die heutige Zeit und in gefeierten und preisgekrönten Filmen der männliche Blick vorherrscht, während Frauen zu entrückten bis hilflosen Objekten degradiert werden. Was eigentlich auf der Hand liegt. Regie führen nach wie vor meistens die Männer

Ist einmal eine Frau in diesem Metier erfolgreich, finden sich in den Credits ansonsten nur Männernamen, wie bei "The Hurt Locker", für den Kathrin Bigelow 2010 als erste Frau der Filmgeschichte den Oscar für die beste Regie gewann. Ansonsten beteiligt: Ein Drehbuchautor, zwei Komponisten, zwei Cutter, ein Kameramann. Zudem fällt es auch Filmemacherinnen schwer, die formalen Standards zu durchbrechen, die Rollenmuster festschreiben. Schließlich schwimmen auch die kritischsten Betrachterinnen im Mainstream der Kinobilder, was Laura Mulvey, seit den 1970ern Vordenkerin einer feministisch orientierten Filmwissenschaft, in "Brainwashed" auf den Punkt bringt. In den 1960ern sei sie oft ins Kino gegangen, erzählt Mulvey. "Erst im Nachhinein wurde mir klar, dass ein Teil meiner Lust, die Filme anzuschauen, darin bestand, dass ich sie wie ein männlicher Zuschauer ansah."

Nina Menkes entwirft ein gleichschenkliges Dreieck: Bildsprache des Kinos – Diskriminierung am Arbeitsplatz – Missbrauch / Übergriff. Das Ästhetische stützt und befördert die gesellschaftlichen Zustände. Der erste Schritt aus der Machtspirale ist die Analyse. "Brainwashed" beruht auf Nina Menkes’ Vortrag "Sex and Power: The Visual Language of Cinema". Dort wie im Film macht sie anhand der Beispiele aus den 1940ern bis in die heutige Zeit deutlich, wie Licht, visuelle Effekte, Einstellungswinkel und Kadrierungen Frauen vermeintlich glamourös in Szene setzen, in Wirklichkeit jedoch als hilflos darstellen. 

Männer werden meist als Ganzfigur gezeigt, bestimmten aktiv die Handlung, auf der anderen Seite werden weibliche Körper fragmentiert. In Zeitlupe gleitet die Kamera über Frauenkörper und verwandelt sie in Sexobjekte. Dass eine Frau sich zunächst gegen die Zudringlichkeiten des Mannes wehrt, um seinem Drängen schließlich doch – mit Lustgewinn – nachgibt, kommt leider nicht nur in "Gone with the Wind" vor, sondern bis in die jüngere Filmgeschichte.

Ein krasses Missverhältnis zwischen vordergründiger Aussage und filmischer Darstellung weist Menkes im #MeToo-Drama "Bombshell – Das Ende des Schweigens" (2019) nach. Der Film erzählt von sexueller Ausbeutung bei Fox News. Eine Szene, in der Produzent Roger Ailes (John Lithgow) die junge Aspirantin Kayla Pospisil (Margot Robbie) anweist, ihr Kleid hochzuheben, übernimmt die Perspektive des übergriffigen Mannes und sexualisiert die Frauenfigur auf entwürdigende Art. Es sind aber vor allem die subtilen Beispiele eines audiovisuellen Gender-Gap im Film, die zeigen, dass wir der Darstellungsweise in Filmen (und nicht nur der Handlung) mehr Beachtung schenken sollten.

"Brainwashed: Sex-Camera-Power", Arte-Mediathek, bis 25. Juli

"Brainwashed: Sex-Camera-Power", Filmstill
Foto: Courtesy Arte

"Brainwashed: Sex-Camera-Power", Filmstill